Florian Gassner ist seit langem Professor an der University of British Columbia im kanadischen Vancouver. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die deutschsprachige Literatur Mittel- und Osteuropas. In dieser hatten jüdische Autorinnen und Autoren eine wichtige Rolle. Somit gerät er beruflich mit Antisemitismus und auch der Shoah immer wieder thematisch in Berührung.

Herr Gassner kommt ursprünglich aus Deisenhofen, beobachtete bereits in seinen jungen Jahren, dass antisemitische Einstellungen und Vorurteile noch immer in der Region vorhanden sind. Und verstand schon früh, dass er etwas dagegen tun muss. 

So arbeitete sich der Oberbayer in das Thema „Antisemitismus“ gründlich ein und nützt seine Heimaturlaube in den Semesterferien bei seiner Familie, um Vorträge dazu an Schulen zu halten. 

Das Erzbischöfliche St. Ursula Gymnasium hatte mit Herrn Gassner schon vor einiger Zeit einen Termin vereinbart. Dann kam Corona und der Termin und auch die Ausweichtermine mussten verschoben werden. 

Am Freitag, dem 14. 01.2022, klappte es doch. Online. Herr Gassner saß in Vancouver kurz vor Mitternacht an seinem Schreibtisch (Zeitverschiebung), die Mädchen der Klasse 10b saßen im Klassenzimmer. Um 8.45 Uhr (Lenggrieser Zeit) begann die einstündige Videokonferenz mit dem Thema:  „Wie funktioniert Antisemitismus? – Von den Protokollen der Weisen von Zion bis zur Corona-Pandemie“.

Eingeleitet wurde der Vortrag mit Fotos und Hinweisen, die belegen, wie rund um die aktuelle Diskussion um Corona antisemitische Narrative und Zerrbilder verstärkt bedient werden. Auch im Kontext der Aufnahme von Geflüchteten hört man übrigens immer wieder in Verschwörungstheorien Äußerungen, die deutlich antisemitisch konnotiert sind.

Der Referent belegte anhand von Studien, dass sich gut ein Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung offen für Verschwörungstheorien zeigt. Und wie immer rankt die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung dabei an erster Stelle.

Im Zentrum des Vortrags stand dann die Bedeutung des Machwerks „Die Protokolle der Weisen von Zion“ für den Antisemitismus. Herr Gassner entlarvte die „Protokolle“ als Fälschung von Antisemiten, erklärte auch: „Der Erfolg antisemitischer Verschwörungstheorien begründet sich in einer einfachen Formel. Seit dem 19. Jahrhundert dienen sie dazu, die Zumutungen der Moderne auf trügerisch einfache Weise zu erklären. Hochkomplexe Vorgänge – allem voran die Evolution der modernen Kapitalwirtschaft – werden auf den Kopf gestellt, um einen Schuldigen für die Erschütterung der Gesellschaftsordnung zu finden. So erscheint der Kapitalismus nicht als notwendige Innovation, um die aufgrund medizinischer Fortschritte exponentiell anwachsende Weltbevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs zu versorgen. Der Antisemit präsentiert stattdessen die unglaubliche (aber angenehm simple) Mär einer sozialen Randgruppe, die den Kapitalismus erfand, um den Rest der Welt aus einem landwirtschaftlichen Paradies zu verstoßen.“ 

Abschließend erklärte der Referent schlüssig, dass im 20. Jahrhundert die Nationalsozialisten unter Umkehrung der (historischen) Vorzeichen zudem das Schreckensbild des „jüdischen Bolschewismus“ entwickelten, um das Volk aufzuwiegeln.

Herr Gassner beendete seinen Vortrag mit folgenden Worten:  „Solche Zusammenhänge gilt es den jungen Menschen zu vermitteln, damit sie den Antisemitismus nicht nur ablehnen, sondern ihm auch beherzt und gut informiert entgegenzutreten können.“ 

Der Referent formulierte fachlich präzise und doch für Jugendliche sehr gut verständlich. Fragen der Schülerinnen beantwortete er gerne und ebenfalls verständlich. Hellwach und kompetent – selbst kurz vor Mitternacht.

(Christian Martino)

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